Die Initiative für Grund- und Freiheitsrechte nimmt zum geplanten Bundesgesetz über die Impfpflicht gegen COVID-19 (COVID-19-Impfpflichtgesetz – COVID-19-IG) wie folgt Stellung:
1.) Unter Berücksichtigung der Erläuterungen zum Gesetzesentwurf erschließen sich folgende Ziele:
- keine oder nur stark reduzierte Zahl an Neuinfektionen
- keine oder nur stark reduzierte Zahl an Hospitalisierungen
- keine oder nur stark reduzierte Zahl an Todesfällen
Die Ziele „keine Neuinfektionen, Hospitalisierungen oder Todesfälle“ sind mangels Gewährleistung einer sterilen Immunität durch die Impfung bzw mangels 100 %iger Schutzwirkung der Impfung jedenfalls nicht erreichbar.
Zur angestrebten Reduktion sind keine konkreten Ziele definiert – ein Ende der Impfpflicht ist daher trotz Befristung weder definierbar noch absehbar.
2.) Den vorliegenden Gesetzesmaterialien sind die Daten und Datenquellen, auf denen die Beurteilung von Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit beruhen, nicht zu entnehmen. Zahlenmäßig unterlegt ist nur die Argumentation der Notwendigkeit gesundheitsbezogener Maßnahmen im Hinblick auf die Gefährdungslage durch die Pandemie. Bisher wurde – soweit ersichtlich – keine valide medizinische Evidenz veröffentlicht, die eine Beurteilung der Verhältnismäßigkeit (insbesondere der Geeignetheit) der Impfpflicht erlaubt (der EGMR fordert für eine Impfpflicht die Wirksamkeit und Sicherheit des Impfstoffs). Insbesondere im Hinblick auf Omikron müsste jedenfalls hinterfragt werden, ob die Wirksamkeit ausreichend gegeben ist.
3.) Anknüpfend an die erforderliche Verhältnismäßigkeitsprüfung ist anzumerken, dass dem Entwurf keine Erwägungen zu gelinderen Mitteln zu entnehmen sind (nur eine Argumentation dazu, dass die Impfung das gelindere Mittel zum Lockdown ist). Zunächst wäre auf die Möglichkeit einer beschränkten Impfpflicht für gefährdete Altersgruppen (z.B. Personen über 60), sonstige Risikogruppen (Personen mit besonderen Vorerkrankungen oder individuellen Risikofaktoren) und bestimmte Berufsgruppen (Krankenhaus- und Pflegepersonal) zu verweisen.
Warum damit nicht die notwendige Senkung von Hospitalisierungen und Todesraten erreicht werden kann erschließt sich aus dem Entwurf nicht.
Auch zu einer von Anbeginn der Pandemie geforderten Erhöhung der Krankenhaus- und Intensivkapazitäten, werden keine nachvollziehbaren Erwägungen angestellt. Ebenso wäre die häufig diskutierte Ausweitung der Testpflicht – erforderlichenfalls auch kostenpflichtig – als gelinderes Mittel anzudenken.
4.) Der gegenständliche Gesetzesentwurf entzieht sich im Grunde einer Verhältnismäßigkeitsprüfung (Risiko-Nutzen-Abwägung) und entspricht nicht dem verfassungsrechtlich verankerten Bestimmtheitsgebot, zumal in § 3 Abs 6 und § 4 Abs 7 vorgesehen ist, dass der zuständige Bundesminister mit Verordnung den Stand der Wissenschaft definieren und Impfintervalle, Impfstoffe und Anzahl der Impfungen abweichend regeln kann. Im Grunde ist damit das Kernstück des Regelungsvorhabens, das inhaltlich zu überprüfen wäre, einmal mehr einer Verordnung vorbehalten.
5.) Nicht begründet wird, warum in den Ausnahmebestimmungen des § 3 Abs 1 Personen mit einer konkret zu definierenden Anzahl an Antikörpern nicht erfasst und von der Impfpflicht ausgenommen sind. Zu den herangezogenen Kriterien für die Annahme einer Immunität nach Impfung oder Genesung sind einmal mehr keine Daten enthalten.
6.) Eine gesetzliche Regelung, unter welchen Bedingungen (z.B. neue Behandlungsmethoden, Medikamente, neu auftretende Varianten, sinkende Infektionszahlen etc) das Gesetz einer neuerlichen Evaluierung im Sinne einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zuzuführen ist, wäre in Anbetracht der grundrechtlichen Eingriffsintensität einer Impfpflicht wünschenswert.
7.) Anlass zu Bedenken gibt die fehlende Abgrenzung, in welchen Fällen ein abgekürztes Verfahren zulässig ist und wann das ordentliche Verfahren einzuleiten ist. Weiters ist auf das evidente Spannungsverhältnis mit dem Doppelbestrafungsverbot (Art 4 7. ZPEMRK) und mit Art 11 Abs 2 B-VG zu verweisen.
8.) Schließlich werden nur die unmittelbaren Kostenfolgen einer Impfpflicht im medizinischen und Verwaltungsbereich erörtert. Die mitunter weitreichenden Folgen für andere Rechtsgebiete (strafrechtliche Konsequenzen, Haftungsfragen, etc) werden überhaupt nicht berücksichtigt. In diesem Zusammenhang wäre ein Prozess einzufordern, in welchem sekundäre Rechtsfolgen in anderen Rechtsbereichen bedacht, diskutiert und – soweit notwendig – sachadäquat geregelt werden.
Anknüpfend an die Ausführungen der Initiative für Grund- und Freiheitsrechte zum Thema Impfpflicht vom 17. Dezember 2020
und die Tatsache, dass die dort angeführten Aspekte und Voraussetzungen für die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht alles andere als abschließend geklärt scheinen, ist der vorliegende Entwurf zu überdenken.